„Europa muss ein Innovationskontinent werden“

Nicola Beer im Blick

 

Am Sonntag, 26. Mai werden die Karten in Brüssel neu gemischt: Die EU-Bürger wählen das Europäische Parlament. Auch die Bundes-FDP schickt mit Nicola Beer ihre Spitzenkandidatin ins Rennen. Beer ist auf dem politischen Parkett keine Unbekannte: Nicola Beer ist seit 2013 die Generalsekretärin der Liberalen. Zuvor war die 49-jährige Juristin drei Jahre lang Staatssekretärin für Europaangelegenheiten im Hessischen Ministerium der Justiz, für Integration und Europafragen.

Von 2012 bis 2014 war sie Kultusministerin in Hessen. Nun kam Beer nach Sinzig und erläuterte in einem dynamischen Redaktionsgespräch mit Susanne Tack und Corinna Krupp, den Junior-Chefinnen von BLICK aktuell und Prokuristinnen des Krupp Verlags, ihre Vorstellungen eines Europas, in dem ein neuer liberaler Wind wehen soll.

 

Mit dabei war auch Marcus Scheuren aus Vallendar, der als Spitzenkandidat der rheinland-pfälzischen FDP antritt. Außerdem wurde Beer von Ulrich van Bebber, Vorsitzender der FDP im Kreis Ahrweiler und Christina Steinhausen, der Spitzenkandidatin der FDP für die Kreistagswahlen im Kreis Ahrweiler, die ebenfalls am 26. Mai stattfinden, begleitet.

 

Weitere Gäste im Krupp Medienzentrum waren Hellmut Meinhof, stellvertretender Kreisvorsitzender im Kreis Ahrweiler, Brigitte Schmickler, FDP- Kandidatin für den Kreistag Ahrweiler sowie Martin Thormann, Vorsitzender der FDP Sinzig, Wolfgang Reuss, Vorsitzender der FDP Grafschaft, Dirk Herminghaus, Vorsitzender der FDP Bad Breisig sowie Karl-Heinz Kreuzberg, dem Spitzenkandidat der FDP für den Verbandsgemeinderat Altenahr.

 

Susanne Tacks erste Frage zielte auf Nicola Beers Vita, betrachtet von einem europäischen Blickwinkel. Beer erklärte, dass ihre Liebe zu Europa schon früh entfacht wurde. Insbesondere Schüleraustausche nach Frankreich sowie Fremdsprachen- und Studienaufenthalte im europäischen Ausland prägten sie nachhaltig. Gefestigt wurde diese Sympathie durch ihre Arbeit als hessische Staatssekretärin für Europafragen in den Jahren von 2009 bis 2012. Dort konnte sie auch praktische Erfahrungen in der europäischen Politik sammeln.

 

„Die EU ist in keiner guten Verfassung“

 

„Wo steht Europa heute?“, wollte Corinna Krupp. Laut Beer sei es der größte Verdienst der Europäischen Union, dass erstmals über einen Zeitraum von 70 Jahren Frieden und Freiheit herrsche. „Das ist jedoch keine Selbstverständlichkeit“, wie Beer mahnt. Jüngste Gewalteskalationen wie in Nordirland zeigen schnell die Realität auf. „Die Leute dort haben eine reale Angst“, fasst Beer die Gegenwart der nordirischen Bürger zusammen. Auch ansonsten befände sich die EU in keiner guten Verfassung. Man merke, dass es ein Zustand des „Auseinanderdriftens“ gäbe. Dies sei insbesondere einem aufsteigenden Populismus – von rechts als auch von links – geschuldet. „Derzeit herrschen Parolen, wo Konzepte her müssen“, resümiert Beer. Es gelte zukünftig die „großen Fragen wieder gemeinsam zu lösen“. Dies sei über die Wirtschaft zu schaffen, denn „wo Handel betrieben wird, werden auch Werte zu vermitteln“, so Beer.

 

Das sei auch ein adäquates Mittel um den Machthabern in der Türkei und Russland Paroli zu bieten. „Wir brauchen eine gemeinsame Stimme und auch eine gemeinsame Armee um Europa abzusichern“, führt Beer aus. „Wir müssen Europa wieder zum Innovationskontinent machen, der es mit aufstrebenden Wirtschaftsmächten wie Russland und China aufnehmen kann“, erläutert Beer ihren Standpunkt. Denn Innovation schaffe auch nachhaltige Arbeitssicherheit.

 

Für Marcus Scheuren, Spitzenkandidat der FDP in Rheinland-Pfalz für die Europawahl, ist das Land Rheinland-Pfalz ein idealer Startpunkt zum Umsetzen dieser Ziele. Gelegen in der Nähe zu den Benelux-Staaten herrsche im Land von Natur aus ein europäischer Gedanke, so der Liberale mit schottischen und deutschen Wurzeln.

 

Susanne Tack erkundigte sich in diesem Zusammenhang über die Arbeitsweisen in Brüssel. „Was sind die wichtigsten Aufgaben des Europaparlaments in den kommenden Jahren?“, möchte die Prokuristin wissen. Und: „Wie sind die liberalen Standpunkte dazu?“ legt Tack nach. Für Beer sei es ein oberstes Ziel, die Kommissionen der EU zu verkleinern. „Kommissionen mit 27 Mitgliedern braucht kein Mensch“, findet Beer klare Worte. Grundsätzlich müsse man in Brüssel „schneller werden“ um ein leistungsstärkeres EU -Parlament zu schaffen. Außerdem gelte es, „wieder Politik für den Menschen zu machen“. Denn im „EU-Wanderzirkus zwischen Brüssel und Straßburg“ blicke der Bürger kaum durch. Wichtig sei es, wieder „schlanke Strukturen“ zu schaffen. Zudem möchte man sich bei der FDP für die Installation von EU-Hochschulen einsetzen.

 

„Migrationspolitik war ein Versagen der EU“

 

Großer Bedeutung kommt auch die zukünftige Migrationspolitik zu. Die bisherige habe nämlich eindeutig versagt, wie Beer sagt. Die Grundsätze von Solidarität und Humanität gelten auch weiterhin. Jedoch für diejenigen, „die es wirklichen brauchen“, steht für Beer fest. Man dürfe jedoch auch die Menschen nicht vergessen, die aus anderen Gründen in die Europäische Union kommen. Zum Arbeiten beispielsweise. Hier benötige es ein nachhaltiges Punktesystem um Arbeitskräfte und deren Qualifikation festzustellen.

 

Ein weiteres Thema, dass derzeit die Europäische Union erschüttert, ist nach wie vor der Brexit. „Wie fänden Sie es, wenn die Briten nun doch bleiben wollen?“, möchte Corinna Krupp wissen. „Wir hoffen natürlich immer noch darauf“, erläutert Nicola Beer. Letztendlich könne sie aber „in keine Glaskugel schauen“ und die Briten müssen es schließlich selbst entscheiden. In der Verhandlung zum Brexit zwischen Großbritannien und der EU habe man „zu sehr auf die Scheidungsurkunde anstatt auf die Zukunft konzentriert.“

 

Auch innenpolitisch wäre es um die Briten schlecht bestellt. Premierministerin Theresa Mae erscheine derzeit so, als würde sie eine „Mehrheit für Irgendetwas“ suchen. Marcus Scheuren ist als Halbbrite besonders in der Thematik zu Haus. „Das Land ist völlig zerrissen“, so Scheuren. Und: „Das Parlament ist eigentlich handlungsunfähig.“ Sowohl Scheuren als auch Beer wünschen sich natürlich ein zweites Referendum und entsprächen damit der Meinung der britischen Liberalen. Denn die waren laut Beer von Anfang an für den „Remain“, also dem Verbleib in der EU. Gäbe es ein zweites Referendum müsse man der Bevölkerung auch die Optionen für eine Zeit nach dem Brexit – wie dem norwegischen oder schweizerischen Modell – aufzeigen. Die seien nämlich mit der EU eng verbunden, ohne eigentliches Mitglied zu sein.

 

Datenschutz: Deutschland ist am restriktivsten

 

„Bürokratieabbau ist seit Jahren ein Thema für alle Parteien“, blickt Susanne Tack zurück. „Doch passiert ist eigentlich nichts; stattdessen gibt es die Datenschutzgrundverordnung, die bei vielen Menschen für Stirnrunzeln sorgt“, so Tack weiter. „Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?“, fragt sie. „Die Ausführung des Datenschutzgesetzes ist ein rein deutsches Problem“, führt Beer aus. Denn die Formulierung des Gesetzes sei EU-weit gleich; nur in Deutschland wurde es am restriktivsten ausgeführt. „In Frankreich oder Belgien finden Sie diese Probleme nicht“, weiß Beer. Außerdem seien in Deutschland die Fristen zu lange ausgereizt worden, so dass man sich nicht ausreichend vorbereiten und informieren konnte. „Nun gelten die gleichen Datenschutzrichtlinien für einen Automobilkonzern genauso wie einen Sportverein“, erklärt Nicola Beer das Dilemma. Das gelte es zu „Entschlacken“, so Beer. „Die Krux war,“ ergänzt Marcus Scheuren, „dass die Behörden auch einmal zeigen wollten, dass sie etwas tun“. Mit den Liberalen wäre es anders gelaufen, sind sich die beiden sicher. „Wir bevorzugen eine simple „In and Out“-Lösung“, sagt Beer. Gesetze, die zusätzlich „oben drauf“ kommen, müssen an anderer Stelle wieder entschärft werden. Man müssen „in Sachen Bürokratie eben schlank bleiben“ und Bürokratieabbau muss auch auf der Brüsseler Ebene umgesetzt werden.

 

„Eine EU, in die mehr rein als raus wollen“

 

Zum Schluss verlangten Tack und Krupp noch einen Blick in die Zukunft. „Wie soll die Europäische Union in 20 Jahren aussehen?“, lautet die Frage. Nicola Beer wünscht sich einen „Innovationskontinent“ auf dem die Bürger- und Menschenrechte nach innen und außen gewahrt werden. Fragen zur Verteidigung, Entwicklung, Energie und Digitalisierung sollen gemeinsam beantwortet werden. Marcus Scheuren wünscht sich, dass „die EU so attraktiv wird, dass mehr rein als raus wollen“. Auch die Spitzen der Liberalen des Kreises Ahrweiler pflichten dem bei. Kreisvorsitzender Ulrich van Bebber wünscht sich für die Wirtschaft in Europa eine solide Wettbewerbsstruktur. Christina Steinhausen, Spitzenkandidatin bei der kommenden Kreistagswahl, hebt außerdem die Wichtigkeit der eines sensibleren Umgang mit der Umwelt hervor. Nicola Beer wünschte sich zum Abschluss, dass möglichst viele Bürger am 26. Mai den Gang an die Wahlurne antreten. „Schicken Sie eine Liebesbrief nach Brüssel“, so Nicola Beer.

 

 

Text/Fotos: Daniel Robbel

 

Bericht in Blick aktuell, 2. Mai 2019

 

 

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